#speakaboutcrisismanagement
Interview mit Prof. Dr. André Röhl
von der NBS Northern Business School
Von Johannes Ebner
In unserer Interviewreihe #speakaboutcrisismanagement laden wir Experten ein, um über typische Fehler, best practice und nützliche Insights zum Thema Krisenmanagement zu sprechen.
In diesem dritten Interview sprechen wir mit Prof. Dr. André Röhl über seine Erfahrungen und Perspektiven im Krisenmanagement.
Prof. Dr. André Röhl ist Studiengangleiter des Studienganges Sicherheitsmanagement (B.A.) an der NBS Northern Business School.
Im Rahmen dieses Studienganges werden künftige Fach- und Führungskräfte einem ganzheitlichen Sicherheitsverständnis folgend verschiedene Fachkompetenzen des Sicherheitsmanagement aber auch Führungs- und Managementkompetenzen vermittelt.
Einen roten Faden bildet dabei die Befähigung zum Entscheiden in komplexen Situationen. Entsprechend befassen sich auch mehrere Module aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem Krisenmanagement, welches auch einen Schwerpunkt der Forschungsaktivitäten im Studiengang darstellt.
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Das Interview: #speakaboutcrisismanagement mit Prof. Dr. André Röhl
Krisenmanagement – Was bedeutet das für Sie?
Krisenmanagement beschreibt aus meiner Sicht zunächst eine Abweichung von alltäglichen Entscheidungsprozessen, hervorgerufen durch eine nicht-alltägliche Situation.
Der BSI-Standard 100-4 beschreibt anschaulich vier Arten von nicht-alltäglichen Situationen: Störungen, Notfälle, Krisen und Katastrophen. Das Besondere in der Abgrenzung dieser Situationen sind für mich die dazugehörigen Entscheidungsbedarfe.
Eine Störung wird im Idealfall im Rahmen der normalen Alltagsprozesse „nebenbei“ behoben. Ein Notfall sollte über zuvor umgesetzte Entscheidungen zu Notfallmaßnahmen, Rollen und Verantwortlichkeiten bewältigt werden. Eine Krise zeichnet sich nun dadurch aus, dass Schadenspotential, Umfang, Komplexität usw. nicht mehr durch präventiv getroffene Entscheidungen adressiert werden können. Es sind vielmehr neue, grundlegende Entscheidungen notwendig, um in der Krise zu bestehen. Die Besonderheit einer Katastrophe ist schließlich, dass die relevanten Entscheidungsprozesse zunehmend außerhalb einer betrachteten Organisation stattfinden.
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Wenn Sie an dieses Thema denken, was wird Ihrer Meinung nach oft falsch gemacht?
Meines Erachtens unterschätzen viele Unternehmen die Herausforderungen des Krisenmanagements im Sinne eines besonderen Entscheidungsprozesses, der durch Komplexität, Unsicherheit und hohen Druck auf die Entscheidungsgremien gekennzeichnet ist.
Es reicht nicht aus Alltagsstrukturen zur „Krisentaskforce“ umzudeklarieren, sondern es müssen organisatorische, prozessuale und personelle Voraussetzungen für eine systematische Entscheidungsfindung geschaffen werden. Wie wir in den letzten Jahren gesehen haben, können sich die jeweiligen Anforderungen an die Entscheidungsprozesse auch stark voneinander unterscheiden, je nach Art der Krise oder Phase der Krise, in der sich das Unternehmen befindet.
Themen, bei denen alle besser werden können, sind sicherlich Informationsgewinnung und zielgerichtete Datenanalyse, Vermeidung von Entscheidungsfehlern und adäquate Krisenkommunikation. Auch das Verständnis der Vernetzung des eigenen Unternehmens mit seiner Umgebung ist sicherlich häufig ausbaufähig.
Können Sie dazu ein Beispiel geben?
Zur Verdeutlichung würde ich zunächst gerne auf einige positive Beispiele verweisen. Während der Lockdownphasen kam es in Deutschland zu innovativen Formen der Zusammenarbeit von Unternehmen, indem ein erhöhter Adhoc-Bedarf an Personal des einen Unternehmens durch ein anderes Unternehmen abgemildert wurde, wodurch dessen Mitarbeiter nicht in Kurzarbeit gemeldet werden mussten.
Auch die sehr schnelle Umstellung auf das Homeoffice in vielen Unternehmen zeigte trotz der berechtigten Kritik im Hinblick auf z.B. die Informationssicherheit eine große Flexibilität und Schnelligkeit Entscheidungen umzusetzen, etwas, was letztlich auch Teil eines erfolgreichen Krisenmanagements sein sollte.
Als negatives Beispiel ließe sich sicherlich das initiale behördliche Krisenmanagement im Zusammenhang mit den Hochwasserereignissen in Deutschland im Jahr 2021 anführen, bei dem nach jetzigem Kenntnisstand in einigen Regionen unklare Verantwortungszuschreibungen, die fehlende Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen, mangelhafte Vorbereitungen und das unzureichende Auswerten vorhandener Informationen zu dem katastrophalen Schadensausmaß beitrugen.
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Was sollte man stattdessen tun?
Klare Strukturen und Prozesse etablieren, die regelmäßig eingeübt werden und die darauf ausgerichtet sind, auch in unerwarteten Situationen eine ausgewogene Entscheidung zu treffen, zu kommunizieren, umzusetzen und ggf. anzupassen. Dazu gehört dann auch eine Entscheidungskultur, die berücksichtigt, dass es in diesen Szenarien keine letztendlichen Gewissheiten geben kann, zu spätes Handeln aber in sich einen Fehler darstellt.
Sinnvoll erscheint mir eine Orientierung an den klassischen Führungsprozessen der Streitkräfte, der Feuerwehren o.ä. in Kombination mit der Nutzung der Möglichkeiten, welche die Digitalisierung uns heute etwa im Bereich der Datengewinnung und Datenanalyse bietet.
Welche positiven Effekte könnten Leser*Innen erwarten?
Wir müssen uns immer vor Augen führen, dass eine Krise in besonderem Maße von Ungewissheit geprägt ist. Insofern geht es nicht nur um die inhaltliche Lösung eines konkreten Problems, wie es auch im Alltag auftreten kann, sondern auch um die Schaffung der dafür notwendigen Rahmenbedingungen, da die Stabilität der Alltagsorganisation fehlt. Eine in sich abgestimmte Krisenorganisation wird in der Lage sein, sich dieser doppelten Unsicherheit zu stellen.
Auf welche Warnsignale sollte man achten, um hier bei der Implementierung nichts falsch zu machen?
Ich würde einen besonderen Fokus auf das Personal richten. Krisenmanagement ist in gewissem Sinne auch mit einem Handwerk vergleichbar und die notwendigen Kompetenzen können erlernt werden. Das bedeutet dann aber auch, dass die Mitglieder der Krisenorganisation ausreichende Möglichkeiten haben sich weiterzubilden und zu üben.
Wenn ausschließlich die Formulierung von Handbüchern und Checklisten im Mittelpunkt einer Implementierung stehen würde, wäre das für mich ein Warnsignal. Darüber hinaus würde ich immer auch auf den Umfang des jeweiligen Kernteams schauen und Vertretungsregeln bzw. eine Schichtfähigkeit hinterfragen.
Was wären die ersten Schritte, um damit zu starten?
Ich würde damit beginnen, basierend auf der eingangs angeführten Unterscheidung zwischen Störung, Notfall, Krise und Katastrophe, jeweils mögliche Szenarien für das betreffende Unternehmen zu entwickeln, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wann in diesem Unternehmen die Schwelle zur Krise überschritten ist.
Anders formuliert, die Störung oder der Notfall des einen Unternehmens kann die Krise des anderen Unternehmens sein. Daher würde es sich anbieten die Etablierung eines Krisenmanagements nicht losgelöst zu betrachten, sondern einzubetten in ein Resilienzkonzept, welches Widerstandsfähigkeit und Bewältigungsfähigkeit miteinander verbindet. Gemeinsam mit meinem Kollegen Rico Kerstan habe ich ein entsprechendes vierstufiges Resilienzmodell entwickelt, welches die Schwelle des Eintritts einer Krise höher setzt und gleichzeitig eine wirksame Bewältigung durch zielgerichtete Einbindung von Akteuren ermöglicht.
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Was ist der eine große Insight, den Leser*Innen von diesem Interview mitnehmen sollten?
Krisenmanagement muss nicht nur, es kann auch in jedem Unternehmen vorbereitet werden. Wichtig ist der grundsätzliche Willen, sich entsprechend aufzustellen. Unterstützung und innovative Tools finden sich mittlerweile in ausreichender Zahl.
Vielen Dank für das spannende Interview!
Weiterführende Infos:
Eine Darstellung des Resilienzmodells finden Sie in einem Beitrag für einen Sammelband zum Thema Wirtschaftsschutz: Die Bedeutung organisationaler Ökosysteme für den Erfolg der Unternehmenssicherheit
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