#speakaboutcrisismanagement Interview mit Thomas Prinz
In unserer neuen Interviewreihe #speakaboutcrisismanagement laden wir Experten ein, um über typische Fehler, best practice und nützliche Insights zum Thema Krisenmanagement zu sprechen.
Es freut uns deshalb sehr, uns in diesem ersten Interview mit Thomas Prinz, M.A über seine Erfahrungen und Perspektiven im Krisenmanagement unterhalten zu dürfen.
Das Interview: #speakaboutcrisismanagement mit Thomas Prinz
Krisenmanagement - Was bedeutet das für Sie?
Für mich ist Krisenmanagement die Kombination aus Bereitschaft und Kompetenz auf plötzliche, so nicht vorhergesehene, existenzbedrohende Situationen rasch und wirksam zu reagieren. Es setzt damit voraus, dass man die dafür notwendigen Fähigkeiten und Ressourcen bereits vor Eintritt einer Krise entwickelt hat.
Nicht umsonst sagt man auch, dass es bei Krisenmanagement vor allem um sogenannte „Meta-Kompetenzen“ geht: Wenn kein Notfallplan oder kein Business-Continuity-Konzept mehr passt, weil die zugrundeliegende Situation so unvorhergesehen oder überwältigend ist, dann braucht es eine Führung, die vor allem eines kann: Die aktuelle Lage rasch erkennen und bewerten sowie darauf aufbauend Bewältigungsstrategien entwickeln und implementieren. Es müssen also innerhalb kürzester Zeit strategische Entscheidungen getroffen, konkrete Prozesse gestaltet und umgesetzt werden.
Diese strategische Komponente ist dabei oft eine besondere Herausforderung: Es geht im Krisenmanagement vor allem darum, das Weiterbestehen eines Unternehmens bzw. einer Organisation sicherzustellen. Dafür braucht es aber mitunter weitreichende, sehr plötzliche Veränderungen, die auch weit über die akute Krise hinaus Auswirkungen haben können. Das ist zum Beispiel einer der vielen Unterschiede zum Notfallmanagement.
Und hier haben wir nach meiner Erfahrung auch einen der Gründe, warum vorbereitendes Krisenmanagement oft sträflich vernachlässigt wird: Strategische Entscheidungen sind – verständlicher Weise – im Regelbetrieb etwas sehr Sensibles. Diese dürfen meist nur von der jeweils zuständigen obersten Führungsebene nach einem umfassenden Entscheidungsfindungsprozess getroffen werden.
Nur: Im Krisenfall läuft uns die Zeit davon. Da müssen auch die weitreichendsten Entscheidungen sehr „zeitnah“ getroffen werden. Ansonsten können sie noch so gut sein, relevant sind sie dann maximal für den Masseverwalter. Das ist einer der Gründe, warum man beim Krisenmanagement auch von einer eigenen Führungsstruktur bis hin zum Krisenstab spricht – das normale Linienmanagement ist mit seinen Prozessen in der Regel dafür nicht vorbereitet.
Wenn Sie an dieses Thema denken, was wird Ihrer Meinung nach oft falsch gemacht?
Bleiben wir gleich beim Krisenstab. Viele Unternehmen haben keinen oder wenn, dann nur auf dem Papier. Die Hauptgründe dafür sind nach meiner Erfahrung: Angst vor Kontrollverlust seitens der Unternehmensführung, unreflektiertes Übernehmen von Standardstrukturen sowie generell mangelnde Ressourcen.
Wobei ich gleich bei den mangelnden Ressourcen einhaken muss: Wenn ich aus Angst vor laufenden Kosten mein Krisenmanagement in der Vorbereitung klein halte, dann darf ich mich nicht wundern, wenn das dann mit einer ausgewachsenen Krise nicht fertig wird. In Abwandlung eines bekannten Ausspruchs kann man da nur sagen: „If you think, crisis management is expensive: Try crisis!“ – „Wenn Du denkst, Krisenmanagement ist teuer: Probier‘ mal die Krise!“.
Allerdings verstehe ich auch den CEO eines typischen österreichischen KMUs der beim Anblick einer typischen standardisierten Krisenstabs-Struktur die Augen rollt und sich denkt: „Wo soll ich die ganzen Leute hernehmen?“ Hier braucht es einfach eine individuelle Begleitung und vor allem ein Verständnis dafür, dass es bei den gängigen Krisenstabsmodellen in Wirklichkeit um Prozess- und Rollendefinitionen geht und nicht um einen Headcount.
Da gibt es international unterschiedlich gut skalierbare Varianten. Wichtig ist es, für das jeweilige Unternehmen und die jeweilige Organisation eine Form zu finden, die dann auch wirklich aus dem Alltag heraus plötzlich und unverzüglich aktiv werden sowie die notwendigen Entscheidungen treffen und umsetzen kann.
Und damit sind wir nach meiner persönlichen Überzeugung bei einem der wichtigsten Punkte im Krisenmanagement: Es muss sich in den Alltag integrieren lassen.
Was meine ich damit? Wenn ein Mensch plötzlich mit einer existenzbedrohenden Situation konfrontiert ist, dann entsteht natürlich auch sehr hoher Stress. Starke Gefühle und Emotionen steuern das ihre dazu bei. Wir wollen möglichst schnell wieder Sicherheit und Kontrolle erlangen. Dazu greifen wir intuitiv auf die letzten positiven Erfahrungen zurück, die wir in einer vergleichbar stressigen und emotionalen Situation gemacht haben.
Das bedeutet: Eine großartige Krisenmanagementschulung vor drei Jahren ist dann – retrospektiv gesehen – hoffentlich nett gewesen, für das konkrete Handeln im Hier und Jetzt aber weniger relevant als die stressigen Budgetverhandlungen letztes Jahr.
Wenn diese für mich gut ausgegangen sind, dann werde ich mich eher so wie damals verhalten als so, wie ich es bei der Schulung gelernt habe. Wenn wir sicher gehen wollen, dass Menschen in einer Krisensituation entsprechend unseren Krisenmanagementplänen handeln, dann müssen wir sicherstellen, dass die entsprechenden Tätigkeiten und Kompetenzen geschult und regelmäßig angewendet werden. Und das kann ich genau auf zwei möglichen Wegen erreichen: Entweder indem ich sie regelmäßig übe (und bei regelmäßig denke ich an deutlich mehr als einmal pro Jahr) oder aber indem ich sie so mit dem Alltag kombiniere, dass eine positive Routine entsteht.
Können Sie dazu ein Beispiel geben?
In einem Unternehmen, in dem so gut wie alle Mitarbeiter*innen an oder neben einem PC-Arbeitsplatz tätig waren, hatte die Unternehmensleitung folgendes Alarmsystem für den Krisen- und Notfall vorgesehen: Ausgelöst vom Büro des CEO konnte ein Text als PopUp-Fenster auf allen Bildschirmen ausgegeben werden. Man hielt das für ein genial einfaches System – vor allem auch, weil sich ja sowieso alle vor oder neben einem Computer befanden. So konnte man – zumindest in der Theorie – mit einem Schlag alle Mitarbeiter*innen informieren.
Bei einer ersten Simulationsübung vor Ort hat sich dann folgendes Bild ergeben: Der Alarm wurde ausgelöst, auf allen Bildschirmen poppte das Info-Fenster zeitgleich auf. Trotzdem handelten einige Teile des Unternehmens, als ob sie den Alarm nie erhalten hätten.
Was war geschehen? Nun, die Alltagsroutine hat zugeschlagen und die Alarmierung im wahrsten Sinne des Wortes ausgeblendet: Etliche Personen waren in ihrer Alltagsarbeit am PC laufend (mehrmals pro Stunde) mit PopUp-Fenstern konfrontiert, die lediglich die Bestätigung ihrer Eingaben beinhalteten und daher routinemäßig einfach weggeklickt wurden – ohne bewusstes Durchlesen der Inhalte.
Und so wurde auch das Alarm-PopUp einfach weggeklickt. Was in einem Realfall ziemliche Probleme verursacht hätte: So waren Teile des Unternehmens bereits im Krisenmodus während für andere noch „normaler Alltag“ herrschte. Die betroffenen Personen hatten zwar vom „Alarm-PopUp“ Monate davor in einer Schulung gehört – aber das war’s dann auch schon wieder. Im Alltag hatten sie sich daran gewöhnt, dass PopUps regelmäßig „störend“ erscheinen und einfach wegzuklicken sind.
Was sind die wichtigsten Gründe damit aufzuhören - also Krisenmanagement zu vernachlässigen?
Wenn ich in meinem Unternehmen, meiner Organisation, Kommune oder Behörde ein Krisenmanagement aufbaue, dann ist das eine sehr weitreichende Entscheidung. Dann heißt es Pläne ausarbeiten, Rollen und Prozesse definieren, Personen ausbilden und eventuell notwendige Ressourcen beschaffen.
Das alles braucht Zeit und Geld. Zeit und Geld, die sehr, sehr gut investiert sind. Denn die Frage ist heutzutage nie, ob eine Krise kommt, sondern immer nur wann. Wenn dann allerdings der Tag X kommt, dann möchte ich meinen „Return on Investment“, dann möchte ich ein funktionierendes Krisenmanagement, das möglichst auf Knopfdruck alles unternimmt, was nötig und möglich ist, um unser Fortbestehen zu garantieren.
Dafür muss ich allerdings bereit sein. Bereit sein heißt: All das, was vorbereitet wurde, muss jederzeit abrufbar sein. Und dafür reicht es nicht, einen schönen, umfangreichen Krisenmanagementplan irgendwo in einer Schublade liegen zu haben. Wenn ich den mehrere Jahre lang nicht gelesen oder überarbeitet habe und dann erst im Krisenfall heraushole, dann ist es womöglich besser, ihn gleich wieder zurückzulegen. Oder anders formuliert: Ein Türtaferl allein macht noch keinen Krisenstab.
Was sollte man stattdessen tun?
Alles, was ich für meine Krisenreaktion brauche, muss jederzeit abrufbar sein.
Und das ist es nur, wenn ich die entsprechenden Werkzeuge auch so regelmäßig nutze, dass ich auch unter Stress und hohem emotionalen Druck sofort darauf zugreifen kann. Optimal ist es, wenn ich Krisenpläne und Alltag so aufeinander abstimmen kann, dass ich auch im Krisenfall vieles mit gewohnten Abläufen bewältigen kann. Das wird nicht immer möglich sein – das liegt in der Natur der Krise.
Aber dann braucht es – für diese abweichenden Abläufe – ausreichend positive Erfahrung. Die erreiche ich durch regelmäßige Übungen. Und im Idealfall durch ein „Guidance System“, das mich dabei unterstützt, die richtigen Vorgehensweisen zu finden. Aber genau so ein System muss dann auch im Alltag verfügbar sein und genutzt werden. Das würde dann wieder zu dem „Gewöhnungseffekt“ führen, der es den betroffenen Menschen erleichtert, in den Krisenmodus umzuschalten.
Welche positiven Effekte könnten Leser*Innen davon erwarten?
Je klarer und präsenter für Führungskräfte ist, wie im Fall einer krisenhaften Situation (z.B. nach einem disruptiven Ereignis) vorzugehen ist, umso sicherer können sie ihre Aufgabe gerade auch in Zeiten von Unsicherheit wahrnehmen. Das kann sich auch positiv auf deren Leadership auswirken. Und auf jeden Fall verkürzt das die sogenannte „Chaosphase“, die nach so einem Ereignis nun einmal da ist – sie sollte halt nur sehr schnell überwunden werden.
In jedem Fall erhöht Krisenmanagement die Resilienz eines Unternehmens. Nicht nur dadurch, dass eine mögliche Krise rascher oder überhaupt überwunden wird. Sondern bereits die Vorbereitungen haben schon sehr positive Auswirkungen.
So werden zum Beispiel bei Krisenmanagementübungen idealerweise Szenarien als Ausgangslage gewählt, die man zuvor als möglichen Auslöser für Krisen identifiziert hat. Wenn nun eine derartige Übung professionell aufgearbeitet wird, so kann es gut sein, dass als „Side-Effect“ der Übung ein Notfallplan für genau dieses Szenario entsteht.
Soll heißen: Je öfter man derartige Übungen durchführt und dann gut aufarbeitet, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass ein konkretes Ereignis sich zur existenzbedrohenden Krise auswächst. Die Resilienz des Unternehmens steigt im besten Fall kontinuierlich an.
Auf welche Warnsignale sollte man achten, um hier bei der Implementierung nichts falsch zu machen?
Man kann mit der Verknüpfung zum Alltag leider auch ungewünschte Effekte erzielen. So ist es zum Beispiel eine beliebte Übung, einem Krisenstab als „Vorbereitung für den Ernstfall“ bestimmte überschaubare Projekte planen zu lassen. Der Klassiker: Die Firmenfeier. Die Idee dahinter: Da hat der Krisenstab einmal etwas Reales zum Planen, das man auch hinterher umsetzt und das nicht nur „am Papier“ existiert. Prinzipiell ist das keine so schlechte Idee. Aber: Es gibt zwei Punkte, die man dabei unbedingt berücksichtigen muss:
1.) Eine derartige vorbereitende Planung erfolgt für gewöhnlich mit „normalem“ Informationsangebot und ausreichend Vorlaufzeit. Besonders ist lediglich die Abarbeitung durch den Krisenstab als „Nicht-Alltags-Organisationseinheit“. Der Krisenstab muss im Ernstfall aber unter Informations- und Zeitmangel agieren. Wenn in der Vorbereitung regelmäßig alle Informationen und genug Zeit vorhanden sind, dann kann sich das Team so daran gewöhnen, dass ein Arbeiten unter realen Krisenbedingungen nicht mehr beherrscht wird.
2.) Eine der wichtigsten Fähigkeiten im Krisenmanagement ist das laufende Beobachten und Bewerten der aktuellen Lage. Krisensituationen – insbesondere nach disruptiven Ereignissen – neigen dazu laufend Überraschungen bereit zu haben. Dazu kommt, dass ja auch das eigene Handeln die Lage verändern sollte. Hier sind also hohe Flexibilität und angepasste Dynamik gefordert. Das ist nicht mit einer in sich abgeschlossenen Planung vor einem Event zu vergleichen.
Also: Vorsicht, wenn Organisationsformen des Krisenmanagements unter „normalen Alltagsbedingungen“ eingesetzt werden. Prinzipiell ist das sehr zu begrüßen, es kann aber auch „nach hinten losgehen“. Wichtig ist, dass man darauf achtet, ein entsprechend angepasstes Umfeld zu schaffen: z.B. Planung des Events innerhalb von besonders (zu) kurzer Zeit. Oder Kombination mit virtuellen Einspielungen. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Allerdings darf es auch nicht überschießend und überfordernd werden.
Was wären die ersten Schritte, um damit zu starten?
Wenn es bereits einen Krisenmanagementplan gibt, dann empfehle ich im Rahmen eines Reviews (der zumindest jährlich stattfinden sollte) unter anderem zwei Checks:
1.) Welche reale Personen haben welche Rollen wahrzunehmen? Sind sie dafür ausgebildet und geübt? Wann haben sie das zuletzt gemacht? Ideal wäre: Zumindest einmal in den letzten drei Monaten. Wenn die Antwort lautet „Vor drei Jahren oder länger“, dann würde ich sagen „Zurück zum Start“: Hier können Sie sich nicht darauf verlassen, dass diese Rollen rasch und kompetent wahrgenommen werden.
2.) Analysieren Sie alle geplanten Prozesse. Überall dort, wo ein Prozess signifikant vom Alltagsvorgehen abweicht, dort sollten Sie sich die dieselben Fragen stellen. Wenn wir eine Aufgabe immer nach Plan A durchführen und in der Krise plötzlich nach Plan B vorgehen sollen: Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass das allen handelnden Personen jederzeit bewusst ist? Sehr hoch sicher nicht.
Für alle Punkte mit Handlungsbedarf gilt: Stellen Sie so rasch wie möglich sicher, dass die geplanten Umsetzungen auch unter dem Stress und der emotionalen Belastung einer Krise möglich sind. Das geht eben entweder durch Integration in den Alltag oder durch regelmäßiges und häufiges Üben.
Ein System, das sämtliche Rollen und Prozesse in Form von Checklisten für den Tag X bereithält, kann hier eine große Unterstützung sein. Allerdings gilt auch hier: Dieses System muss ebenfalls im Alltag für die Benutzer präsent sein. Ansonsten besteht die Gefahr, dass es entweder nicht genutzt oder nicht beachtet wird. Und dann brauchen wir natürlich noch Pläne für einen möglichen Ausfall dieses Systems. Denn Krisenmanagement darf sich nicht auf eine funktionierende IT verlassen.
Was ist der eine große Insight, den Leser*Innen von diesem Interview mitnehmen sollten?
Krisenmanagement wirkt – nicht nur erst am Tag der Krise, sondern ab dem Tag, an dem ich beginne, mich ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen. Damit es dann im Ernstfall auch wirklich funktioniert, muss ich drei Punkte berücksichtigen:
1.) Keep it simple – nur das Einfache hat Erfolg.
2.) So viel Routine wie möglich, soviel Spezialstrukturen wie nötig.
3.) Was nicht Routine ist, wird zur Routine gemacht: Üben, üben, üben.
Diese drei Punkte sollten bei allen vorbereitenden Planungen als Filter eingesetzt werden. Meine Erfahrung zeigt: Je mehr man sich daran hält, umso effizienter und effektiver wird man Krisen meistern.
Vielen Dank für das spannende Interview!